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Früher war die Weinwelt noch einfach. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts fanden sich auf den Weinkarten der besten Restaurants in Europa und Amerika Weine aus nur wenigen Ländern. Während unter der Rubrik Schaumweine Champagner und bei den Rotweinen Erzeugnisse aus dem Burgund und Bordeaux angeboten wurden, umfasste die Auswahl an Weissweinen stets namhafte Rieslinge aus dem Rheingau und von der Mosel. 

Schloss Johannisberg

Nicht selten bezahlte man für letztere die höchsten Preise. Wie Stuart Pigott in seinem Planet Riesling  (Wiesbaden, Tre Torri 2014, S. 16-17) berichtet, musste im Jahre 1949 ein Gast des 'Shamrock Hotels' in Houston Texas für einen 1943er Riesling Schloss Johannisberg Auslese 12.00 $ hinlegen, während ein Château Lafite-Rothschild des gleichen Jahrgangs bereits für 7,00 $ zu haben war.


Danach der Abstieg. Nur wenige Jahrzehnte später wurde der Weinmarkt von einer wahren Flutwelle immer schlichterer und süßlicherer Weine aus Deutschland überschwemmt. Die Liebfraumilch machte den Löwenanteil am Export deutscher Weine aus.  Im Ausland wurde sie bald als der deutsche Wein schlechthin wahrgenommen. Die Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig, aber eine entscheidende Rolle bei dem Qualitätsverfall des deutschen Weins spielte das im Jahre 1971 neu gestaltete Weingesetz.

 

Liebfraumilch

 

Das deutsche Weingesetz von 1971

Das teilweise reformierte, aber noch heute gültige Weingesetz von 1971, basiert auf zwei grundlegenden Prinzipien:


Da das Gesetz den Weinlagen keine unterschiedliche Qualität zuerkannte, war es nur konsequent, tausende von Einzellagen in sogenannten Großlagen zu vereinen. Mit einer Ausdehnung zwischen 600 und 1800 Hektar fassen diese unter dem selben Namen auch Weinberge aus verschiedenen Gemeinden zusammen. Die Möglichkeit, den Namen einer berühmten Einzellage für die gesamte Großlage zu benutzen, macht das Unheil noch grösser, denn nun konnte der Käufer dem Etikett nicht mehr entnehmen, ob der Wein aus einem beliebigen Weinberg innerhalb der Großlage oder von einer hochwertigen Einzellage stammte.


Vino tedescoDarüberhinaus definierte das Weingesetz keine Geschmacksprofile oder Stilrichtungen der einzelnen Prädikatsweine, wodurch althergebrachte und für den Weinfreund gewohnte Bezeichnungen wie Kabinett, Spätlese oder Auslese ihren genauen Sinn verloren.

Ein weiterer Schwachpunkt war, daß keine Höchsterträge pro Hektar festgelegt wurden. Weine aus hyperproduktiven Weinbergen glichen immer mehr einem Glas Zuckerwasser.

Verständlich freilich, daß man in einem Land, dessen Weinberge sich am Rande des Weltrebengürtels befinden, auf den Zuckergehalt des Mostes als Qualitätsindikator setzte.  In den siebziger Jahren - vor dem einsetzenden Klimawandel - war eine volle Traubenreife für deutsche Weinbauern ein nicht immer erreichbares Ziel. Und Quantität statt Qualität war die Produktionsdevise vieler europäischer Weinerzeugerländer bei ansonsten unterschiedlich konzipierten Weingesetzen. Vor allem aber verbot das deutsche Weingesetz natürlich keinem Winzer, auf Qualität zu setzen und seine Erträge freiwillig zu reduzieren, wie es auch keinen dazu verpflichtete, seinen Most mit Zucker anzureichern. Dennoch, wer in diesen Zeiten auf Spitzenprodukte abzielte, war ein Einzelkämpfer und hatte es oft schwer, inmitten des Süßweinmeeres wahrgenommen zu werden.

Zum Glück hat sich die Lage des deutschen Weins in den letzten zehn, fünfzehn Jahren so sehr zum Positiven gewendet, daß man in Fachkreisen mittlerweile von einer Renaissance des Rieslings und auch allgemein des deutschen Weins spricht. Eine Gruppe von dynamischen, sehr gut ausgebildeten Winzern hat die deutsche Weinlandschaft mit Spitzenprodukten von internationalem Niveau grundstürzend verändert.  


Ihnen zufolge war der Hauptschuldige für den Qualitätsverfall des deutschen Weins vor allem in der Öchsle-Philosophie des deutschen Weinrechts zu suchen. Überzeugt davon, daß bestimmte Lagen - unter ansonsten gleichen Bedingungen - stets bessere Weine hervorbringen als andere, machte man sich mit wissenschaftlicher Genauigkeit daran, die einzelnen Weinlagen zu untersuchen, um die besten Terroirs genau abgrenzen zu können. Versuche, den Gesetzgeber zu einer Reform des Weingesetzes im Sinne eines solchen Terroir-Konzepts zu bewegen, scheiterten. So beschritten diese Qualitätstüftler einen eigenen Weg. Hin zu einem alternativen Konzept des deutschen Qualitätsweinbaus.

 

Terroir statt Öchsle

Kastanienbusch RebholzIn ihren Bemühungen konnten diese Winzer auf einen Verband mit einer soliden Struktur und jahrzentelanger Erfahrung bauen, den VDP. Der Verband deutscher Prädikatsweingüter, im Jahre 1910  unter dem Namen “Verband der deutschen Naturweinversteigerer” gegründet, ist der älteste Winzerverband der Welt. Seit seinen Anfängen um den Qualitätsweinbau bemüht, hat der VDP im Jahre 2012 seine auf vier Qualitätsstufen beruhende Klassifikation der Öffentlichkeit präsentiert. Grundlegendes Prinzip ist dabei die Qualität des Weinberges, also die Eigenschaften des jeweiligen Terroirs.  Grosse Weine, so heisst es beim VDP, kommen aus grossen Lagen.

Um Mitglied im VDP zu werden, muß ein Winzer qualitativ hochwertige Lagen besitzen. Anbau, Ausbau und Vermarktung dürfen nicht externalisiert werden sondern müssen vom Betrieb selbst ausgeführt werden. Eine Ertragsbeschränkung (maximal 75 hl/ha), die Bevorzugung gebietstypischer Rebsorten und ein umweltschonender Weinbau sind weitere Richtlinien.

 

Die Qualitä​tspyramide des VDP.


VDP Grosse LageVDP. GUTSWEIN: Die Grundstufe der VDP-Klassifizierung. Gutsweine sind die Visitenkarte des VDP-Winzers. Die Weine müssen mit eigenem Lesegut hergestellt werden und natürlich allen weiteren Grundsätzen des Verbandes genügen. 

VDP. ORTSWEIN: Die zweite Stufe umfasst Weine aus den besten Lagen einer Gemeinde. VDP Ortsweine sind die Botschafter ihres Terroirs.  Conditio sine qua non ist die Verwendung einer gebietsypischen Rebsorte und eine starke Ertragsreduzierung.

VDP. ERSTE LAGE: Mit der dritten Stufe des VDP wird das Niveau der Spitzenweine bezeichnet. Es handelt sich bei diesen um Weine aus Lagen, welche sich im Hinblick auf ihr Terroir und ein optimales Mikroklima historisch als einzigartig erwiesen haben. Ertragsbeschränkung auf maximal 60hl/ha und Handlese sind obligatorisch.

VDP. GROSSE LAGE: Die Elite der deutschen Weinlagen. Parzellengenau abgegrenzte Einzellagen, die seit jeher Weine von grossem Alterungspotenzial hervorbringen. Die trockenen Weine einer Grossen Lage werden als Grosses Gewächs (abgekürzt GG) bezeichnet. Maximal erlaubte Eträge: 50 hl/ha. Handlese.


VDP LogoWie man sieht, weist das System des VDP grosse Ähnlichkeit mit der im Burgund üblichen Klassifikation auf. Im Unterschied zu ihren französischen Kollegen sind die 200 im VDP zusammengeschlossenen Winzer jedoch Mitglieder in einem privatrechtlich organiserten Verband. Ihre Klassifizierung hat daher lediglich eine verbandsinterne Verbindlichkeit. Für alle anderen Winzer gilt allein das deutsche Weinrecht. Wir haben es also mit der Koexsistenz von zwei unterschiedlichen Klassifizierungssystemen zu tun: dem Öchslesystem des deutschen Weingesetzes von 1971 und dem Terroirmodell des Verbands deutscher Prädikatsweingüter von 2012. 


Forster PechsteinGrosse Hoffnungen, der deutsche Gesetzgeber werde sich über kurz oder lang in Richtung auf ein dem VDP zumindest ähnliches Qualitätsmodell zubewegen, bestehen wohl kaum. Eine kompromisslos auf Qualitätsweinbau zielende Strategie schliesst all jene aus, die diesen Weg nicht beschreiten können oder wollen. Die von den Mitgliedern des VDP gelesenen Trauben machen aber gerade mal 2,6% der deutschen Weinernte aus und die circa 5000 ha VDP Weinlagen sind nicht mehr als 5% der Rebfläche Deutschalnds. Verständlich also, daß kaum ein Politiker bereit ist, eine die VDP-Prinzipien aufnehmende Gesetzesinitiative im Parlament einzubringen, hätte er damit doch die Mehrheit der deutschen Winzer gegen sich. Politischer Selbstmord.

 

Das freilich ist kein grundsätzliches Hindernis für eine weitere Qualitätssteigerung des deutschen Weines. Viele Weinliebhaber haben die Bedeutung der VDP-Klassifizierung bereits erkannt und bevorzugen beim Weinkauf Flaschen mit dem VDP Logo. Der Traubenadler weist auf herausragende Qualität und schafft Vertrauen beim Weinkonsument. Sicher, es gibt nicht wenige Qualitätswinzer, die aus unterschiedlichsten Gründen keine Mitglieder in diesem exklusiven Club sind und dennoch seit jeher hervorragende Arbeit leisten, im Interesse der Weintrinker und der Umwelt.  Winzer, die sich selbst viel mehr abverlangen als es das Gesetz von ihnen fordert. Nicht alle Spitzenwinzer sind also Mitglied im VDP - aber jedes Mitglied im VDP macht Spitzenweine. 
 
Weiterführende Literatur zum Thema VDP:
Daniel Deckers, Ein Geschichte des deutschen Weins. Im Zeichen des Traubenadlers, Mainz am Rhein 2010.
Reinhard Löwenstein, Von Öchsle zum Terroir. Ein oenologisches Manifest, abrufbar unter: http://www.hlweb.de/Engagement/Manifest_DE_2003.pdf
 
 
© Fotomaterial: Schloss Johannisberg (www.rheingau.de), Pechsteinetiketten (Weinreporter's DRINKTANK), Weinpyramide (Wines of Germany); Bettina Bürklin von Guradze (www.diepfalz.de); VDP Klassifikation und Logo (VDP)

 

Ulrich Kohlmann